ICH DENKE IN WORTEN UND FÜHLE IN BILDERN.

Viele Therapiestunden laufen darauf hinaus, dass ich mir schwertue „mich zu fühlen“. Dass ich mich meist für einen Weg entscheide, der rational, meinem Kopf entsprechend, richtig wirkt. Dabei spielt das, was ich empfinde keine Rolle.

Durch diese Einstellung kann (und konnte) ich sehr gut in Extremsituationen Ruhe bewahren. Ich weiß, wie ich mich innerlich ausschalten muss, um mich dem zu widmen, was relevant ist. Nämlich das, was mein Kopf mir sagt. Das, was der Plan ist. Das, was gut ist. Egal, wie ich mich fühle.

 

Meine Schwester sagte mal bei einem Familienessen, dass sie mich aufsuchen wird, falls so etwas wie der dritte Weltkrieg ausbrechen würde: „Wenn das jemand überlebt, dann ist das Hannah!“ Wegen meines Kopfes. Wegen der Fähigkeit im Moment, wenn es sein muss, dem radikal folgen zu können. Obwohl die mentalen Konsequenzen eines solchen Extrems nicht lange unbemerkt bleiben…

 

Wenn Menschen mich mögen und mir ein Kompliment machen wollen, dann sagen sie meistens, dass ich intelligent bin. Dass ich schlau bin. Die Männer, mit denen ich Beziehungen hatte, sag(t)en mir oft, dass das einer der Gründe war, weshalb sie mit mir zusammen sein wollten. Weshalb sie mich mochten. Weshalb sie gerne Zeit mit mir verbrachten.

Einige enttäuschte ich dann. Die dachten mehr von mir, als ich tatsächlich war. Das macht die Blindheit halt. Der erste Eindruck. Ich konnte nicht ewig in ihren Bildern tanzen.

 

Ich wusste immer, dass ich für meinen Kopf gelobt werden konnte. Schlau sein ist alles für mich. Ich bin schlau. Jeder Zweifel an dieser Eigenschaft wirkt sich bis heute zerstörerisch auf mich aus. Es ist der eigentliche Grund, weshalb ich es mental nicht aushalte mit jemandem Schach zu spielen. Weshalb ich vielleicht auch unbedingt studieren gehen musste und auch um jeden Preis an der Universität eine Stelle haben wollte. Da ging es um viel. Da ging es eigentlich um alles. Was soll denn sonst an mir noch sein?

 

Eine Geschichte, die ich gefühlt tausendmal von meinen Eltern und Großeltern gehört habe ist, dass ich in der ersten Grundschulklasse, wegen meiner guten Arbeit, dadurch, dass ich „schlau“ war, eine Klassenstufe hätte überspringen können. Es muss an dem Tag, als meine damalige Klassenvorständin meinen Eltern nahebrachte, dass ich „emotional“ noch nicht „reif“ für diesen Wechsel sei, in meiner Familie so etwas wie eine Existenzkrise stattgefunden haben, da sie mir bis heute dieses Narrativ vorführen:

Jeder Versuch von mir, innerhalb meiner Familie meine Verletzbarkeit zum Ausdruck zu bringen, endet mit dieser Geschichte. Einerseits scheint sie als Erklärung zu gelten, als ein zugewandtes „So-Bist-Du-Halt“ wirken zu müssen; andererseits kann ich mir nicht helfen in dieser Erzählung immer wieder den Ton eines Vorwurfes wahrzunehmen: „Du würdest alles schaffen, wenn du nicht so emotional wärst.“

 

Ich kenne die Sprache meines Kopfes. Die Wörter. Die Dogmen. Die Abstraktheit. Die Lösungen und den radikalen Befehl.

Die Sprache meiner Gefühle kenne ich noch nicht. Wollte ich auch nie kennenlernen. Diese Schwäche leben lassen. Sie schien mir unverlässlich.

 

Und jetzt. Jetzt habe ich eine Kamera. Mache Photos. Will sie schaffen. Will sie sehen. Will sie teilen und Gedanken dazu haben.

 

Aber ich fühle. Ich fühle im Erfassen. Ich fühle im Momentbewahren. Ich fühle im Erkennen.

Ich fühle im Sehen. Ich blicke. Du bist ein Blick. Ein Bild.

 

Ich erfahre dich als Bild.

 

 

16/03/2024