Ich habe noch keine Sprache dafür.
Jede Ader meines Körpers lebte für etwas.
Jeder Atemzug war ein Dankeswort.
Jeder Satz eine Opfergabe.
Jede Bewegung ein Lobpreis.
Jeder Gedanke für IHN.
Ich existierte nicht für mich.
Nicht, weil ich das so wollte.
Und nicht, weil ich keine Möglichkeit hatte, mich anders zu entscheiden.
ER war meine Rettung.
Meine Zukunft.
Grenzenlose Liebe.
Mein Leben vollkommener Hingabe war mit viel Glück versehen.
Ich war stark wie ein Fels, immun und diszipliniert: schrieb gute Noten, konnte mich gegen jegliche Mobbingversuche in der Schule wehren, war in einer Gemeinschaft aufgehoben, las viel, bewegte mich, ernährte mich gesund und empfand in den kleinsten Begegnungen Sinn, Freude und Liebe.
Ich hörte IHN. Ich sah IHN. Ich sprach mit IHM: ER war alles für mich.
Ich habe mich von dieser Trennung nie erholt.
Wenn Menschen meine Geschichten über diese Zeit hören, dann ist ihre erste Reaktion meist ein Entsetzen. Ein betroffenes Ablehnen der dogmatischen Lebensweise, eine Kritik an den obskuren Glaubensinhalten und Mitgefühl dafür, dass ich mit den vielen Restriktionen leben musste.
Doch nicht frei zu sein ist nur dann eine Last, wenn man weiß, dass man es nicht ist.
In einer Illusion zu leben, nur dann traumatisierend, wenn man sie als solche enthüllen konnte.
Zweifel nur dann kränkend, wenn man ihnen Glauben schenken kann.
Und Missbrauch nur dann sichtbar, wenn man ihn sehen lernt.
Nicht mehr zurückkehren zu können und die Leere nach der Sinnekstase aushalten zu müssen.
Selbstsein als Glück zu erfahren, braucht Zeit.
17/02/2024