ABSCHIED.

Es sind nicht die Taten.

Es fällt mir mit dem Altern immer schwerer, Menschen nach dem zu richten, was sie taten. Natürlich ist vieles verwerflich. Vieles „tut man nicht“, obwohl Moral doch auch nur eine Erfindung des Menschen ist. Eine nachvollziehbare Erfindung. Bis zu einem gewissen Grad auch lebensnotwendig. Taten sind schlecht, weil sie verletzen können.

Doch die Welt in Gut und Böse, in wahr und falsch, in Glück und Unglück, einzuteilen, ist etwas Perverses. Als ob die Welt schwarz und weiß und niemals eine von Farben gefüllte ist. Es sind Farben, die uns bezeichnen. Töne und Farben. Wir sind Vielfalt.

Die Welt wird zu dem, wie man sie deuten lernt. Eine Erfahrung wird so lange sein, bis man sie anders betrachtet. Die Gegenwart bestimmt den Raum des Bewegens. Und dem Körper muss man Zeit geben. Eine Sichtweise ist noch nicht alles:

Man wacht trotz des klarsten Gedankens zitternd auf. Man versteht trotz der nachvollziehbarsten Konklusion, die nächtlichen Schweißausbrüche nicht. Panik lenkt den Alltag, obwohl man sich schon längst die Lösung gab. Sehen reicht nicht aus. Man muss es fühlen lernen.

Vielleicht war das der eigentliche Sinn von „Ritualen“. Mit dem Körper sich im Rhytmus einer Bedeutung bewegen. Ausleben, was noch nicht verstanden werden konnte. Äußern was tief in einem schlummert. Keine Wörter haben, sondern nur reagieren müssen.

Der Körper spricht nicht in Worten. Er fühlt den Akt. Die Berührung. Die Konfrontation, die Präsenz des anderen und den Raum, der einem gegeben wird.

Er fühlt den kühlen Windzug, riecht die Zigarette, erfährt die Tonhöhe deiner Stimme, die tiefen Blicke, die Umarmung und den lang ersehnten Abschiedskuss.

 

27/03/2024